Rückzug
Mein lieber Papa veränderte sich immer mehr. Er nahm innerhalb kürzester Zeit sehr stark ab, entwickelte eine starke Heiserkeit, was im Spätstadium dieser Krankheit typisch ist. Früher haben wir täglich telefoniert, meistens abends und haben uns alle Erlebnisse erzählt oder über das aktuelle Tagesgeschehen gequatscht und viel gelacht. Das wurde zusehends weniger, ich spürte das er sich immer mehr in sich zurückzog und sein Lebenswille abnahm.
Das brach mir das Herz und trotzdem musste ich stark bleiben. Es kam der Tag, als wir darüber sprachen, ob er weitermachen wollte mit all den für ihn nur noch quälenden Therapien. Irgendwann hatte ich das Gefühl, dass er es nicht mehr für sich machte, sondern nur noch für mich, weil er genau wusste, wie sehr ich ihn doch liebte und ihn nicht verlieren wollte. Die Zeit nach dem Tod meiner Mutter hat uns tatsächlich noch mehr zusammengeschweißt, als es vorher schon der Fall war.
Es war einer der Tage, an der die Bestrahlungsphase zu Ende war, es aber keine merkliche Besserung seines Zustandes gab und sein Onkologe ihn nach einer weiteren schweren Chemo mit einer 24-Stunden-Chemo (eine Art „Chemo to Go“, die am Port angeschlossen war und innerhalb eines Tages durchlief) nach Hause schickte. Es ist schlimm, wenn du als Tochter merkst, dass dein Vater keine Kraft mehr hat und dir klar wird, es geht nicht mehr. Umso wichtiger ist es, dass man offen kommunizieren kann. Trotzdem war es so schwer für mich, die entscheidende Frage zu stellen. Und als die Frage gestellt war, kam die prompte Antwort: „Ich kann nicht mehr, ich bin mit meiner Kraft am Ende“. Wir haben beide geweint, so sehr dass wir beinahe nicht mehr aufhören konnten. Irgendwann konnte ich ihn beruhigen und habe ihm versprochen, dass er sich um mich keine Sorgen machen müsse, ich sei stark genug, ich halte das aus für ihn, aus unendlicher Liebe.
Liebe
Papas Zustand verschlechterte sich zusehends. Irgendwann ging es für ihn zu Hause nicht mehr und ich musste ihn in ein Krankenhaus bringen. Dort war er fürs erste gut aufgehoben. Es war ebenfalls sein Wunsch nicht zu Hause zu sterben, also haben wir überlegt, ob ein Hospiz in Frage käme. Ich habe alle Hebel in Bewegung gesetzt, etwas passendes zu finden. Aber das schlimme ist, dass es kurzfristig kaum Möglichkeiten gibt, Plätze in einem Hospiz zu bekommen. Allerdings wurde ein Platz auf der Palliativstation eines Krankenhauses frei und ich war der Meinung, ich hätte nun etwas mehr Zeit ein Hospiz in unserer Nähe zu finden.
Doch mein Vater entschied anders. Als wir ihn wie jeden Tag besuchten, kam uns die zuständige Ärztin entgegen und bat uns um ein Gespräch, bevor wir zu ihm gingen. Mein Vater hatte entschieden, dass die künstliche Ernährung eingestellt werden soll. Auch wenn ich auf seine Entscheidung vorbereitet war, es zog mir den Boden unter den Füßen weg. Einige Tage zuvor war ich gefragt worden, ob mein Vater eine Patientenverfügung hat. Diese lag vor und wir brachten Sie ins Krankenhaus. Die Ärztin teilte uns mit, dass es gute palliative Möglichkeiten gibt, seine Schmerzen zu lindern und ihm die Angst vor dem Sterben zu nehmen. Von einem auf den anderen Moment wurde mir bewusst, dass das Leben meines Vaters nun endete. Mir liefen die Tränen. Die Gedanken die ich in diesem Moment hatte, kann man als einen Film der Vergangenheit mit meinen Eltern beschreiben. Aber ich konnte nachvollziehen, dass es für ihn so nicht mehr lebenswert war. Ein Leben voller Schmerzen, die Lebensqualität mit allem was zu einem schönen Leben und Erleben für ihn dazugehört hatte, war nicht mehr vorhanden. Ebenfalls hatte man ihn um einen Tag Bedenkzeit gebeten. Für uns war es sehr schwer, das Krankenzimmer zu betreten und erste Worte zu finden, weiß der geliebte Papa doch nun, dass wir von seinem Wunsch in Würde gehen zu dürfen, wissen. Wir alle haben geweint, geweint aus Liebe und aus vollstem Verständnis. Noch nie zuvor waren wir uns so dermaßen nahe wie in seinen letzten Tagen. Wir haben von unserem gemeinsamen schönen Lebensweg gesprochen und über seine Wünsche für uns beide, wie wir unseren weiteren Lebensweg gestalten sollten. Es war ihm ebenso wichtig, wie er sich seine Beerdigung vorstellte und wer kommen sollte und wer nicht.
Wie es weiterging erfahrt ihr in Teil 3…